Kein Arzt kann mir helfen

Kein Arzt kann mir helfen: Was können Sie für Ihre Diagnose tun?

Wer an einer chronischen Schmerzerkrankung leidet, den beschleicht nach langer Zeit vergeblicher Arzttermine und Therapieversuche das Gefühl: „Kein Arzt kann mir helfen”, besonders dann, wenn es scheinbar keine körperlichen Ursachen für die Schmerzen gibt. Diese Erfahrung machen Betroffene einer aktuellen Befragung zufolge europaweit. (1) Oft warten sie monate- und sogar jahrelang auf eine Diagnose, haben viele Fehldiagnosen und gescheiterte Behandlungsversuche hinter sich. (2)

Geht es Ihnen ähnlich?

Zunächst vorweg: Sie müssen sich nicht mit den Schmerzen abfinden. Und erst recht nicht mit möglichen Folgen, beispielsweise Vorwürfen, Sie würden übertreiben oder sich die Beschwerden nur einbilden. Keine zweifelsfreie Diagnose zu erhalten, ist eine große Belastung, die Sie zusätzlich zu Ihrer Schmerzerkrankung tragen. In diesem Artikel lesen Sie mehr darüber, was Sie tun können, wenn Ärztin oder Arzt keine Diagnose finden.

Digitale Schmerztherpie bei chronischen Schmerzen

Warum wissen meine Ärztinnen oder Ärzte nicht mehr weiter?

 

Chronische Schmerzen können ein Leben bestimmen. Für manche Betroffene existiert nur noch wenig über die Beschwerden hinaus – umso größer sind die Hoffnungen, die man in Ärzt:innen setzt. (3) Schließlich ist es in der Regel so: Wer erkrankt ist, geht in eine Arztpraxis oder auch ins Krankenhaus und erhält dort Hilfe.

Warum nicht auch bei meinen Beschwerden? Warum wissen meine Ärztinnen bzw. Ärzte offenbar nicht mehr weiter? Wer kann mir jetzt noch helfen? Diese Fragen gehen Ihnen vielleicht durch den Kopf.

Wie Ihnen geht es vielen Menschen. Seltene Erkrankungen beispielsweise werden oft spät diagnostiziert, weil sie so wenig bekannt sind, dass selbst Mediziner:innen die Erfahrung mit ihnen fehlt und sie Schwierigkeiten haben, deren Anzeichen richtig zu deuten. Auf dem Weg zur Diagnose erleben Betroffene viele Rückschläge, suchen verschiedene Anlaufstellen auf, machen Termin über Termin, um ihren Beschwerden auf den Grund zu gehen. Hoffnungen auf eine Diagnose wieder und wieder enttäuscht zu sehen, kann zermürben und frustrieren. (2)

Doch an chronischen Schmerzen leiden Schätzungen zufolge 23 Millionen Menschen allein in Deutschland – es handelt sich also nicht um ein wenig bekanntes Krankheitsbild. (4)

Woran liegt es, wenn Ärztinnen und Ärzte keine Diagnose finden?

Möglicherweise hat Ihre Ärztin oder Ihr Arzt sogar einen zutreffenden Verdacht. Doch der Weg zur zweifelsfreien Diagnose ist bei einer solch komplexen Erkrankung wie chronischen Schmerzen häufig lang. Zunächst muss abgeklärt werden, ob keine Verletzungen oder Entzündungen vorliegen, die die Beschwerden auslösen. Tests schließen mögliche weitere Ursachen aus – man möchte schließlich keine Erkrankung übersehen. (5) Immerhin sind Schmerzen in der Regel Warnsignale, die auf ein physisches Problem hindeuten – und als solche betrachten die meisten Mediziner:innen sie zunächst.

Manche Schmerzen haben scheinbar keine Ursache

Im Falle psychosomatisch bedingter Schmerzen, zum Beispiel einer somatoformen Schmerzstörung, gibt es jedoch keine organische (somatische) Ursache für die Schmerzen. Sie wird häufig dadurch ausgelöst, dass sich eine psychische Belastung durch Schmerzen in bestimmten Körperregionen oder Organen ausdrückt – am häufigsten sind Rückenschmerzen. (6) Ihre Schmerzen deuten also möglicherweise auf (unterdrückte) Emotionen hin. Tagesabhängige negative Erlebnisse können die Schmerzen verstärken. (7) Hier lesen Sie mehr über die somatoforme Schmerzstörung.

Im Fall einer somatoformen Schmerzstörung funktioniert also das Körperteil oder Organ, das von Ärzt:innen untersucht wird, einwandfrei. Man kann keine Fehlfunktionen, Verletzungen, Entzündungen oder Erkrankungen erkennen. Dennoch plagen die Betroffenen schwere, dauerhafte Schmerzen. Von Hausärzt:innen hört trotzdem jede:r Dritte mit einer somatoformen Störung, dass „alles in Ordnung“ sei. Man könne nichts feststellen. (7)

Die Ursache für die Beschwerden bei somatoformen Schmerzstörungen zu finden, ist also ein komplexer Prozess, der spezielle Fachkenntnisse erfordert. (5) Betroffene suchen jedoch zunächst oft Rat in ihrer hausärztlichen Praxis. Dies kann ein weiterer Grund für die lange Wartezeit bis zur Diagnose sein. Denn Allgemeinmediziner:innen sind möglicherweise nicht spezialisiert genug, um chronische Schmerzerkrankungen wie die somatoforme Schmerzstörung zweifelsfrei zu erkennen. (1) (7) So kommt es zu Fehldiagnosen, oder Betroffene werden ohne Diagnose weggeschickt, ihre Beschwerden nur symptomatisch therapiert. Der Auslöser für die somatoforme Schmerzstörung bleibt jedoch bestehen und verursacht weiterhin hohen Leidensdruck. (2)

Souveräner dank Diagnose

Während sie auf Diagnose und Therapie warten, sehen Betroffene sich dem Vorwurf ausgesetzt, sie würden sich ihre Beschwerden nur einreden, würden übertreiben oder sogar simulieren. „Vielleicht alles nur Einbildung“, „Das gibt sich von allein“, „Ein paar Nächte mal richtig ausschlafen, das wirkt Wunder“ – Sätze wie diese hören Schmerzgeplagte nicht nur im Familien- und Freundeskreis, sondern selbst von (ratlosen) Ärzt:innen. (7) (8) (9)

Es kann sehr viel Kraft kosten durchzuhalten, bis Sie die Antworten bekommen, die Sie benötigen, um Ihre Beschwerden zu lindern. (9) Außer der Möglichkeit, endlich mit einer wirksamen Behandlung der Beschwerden zu beginnen, bringt die Diagnose Ihnen eine klare Perspektive: Sie wissen nun, wie Ihre Erkrankung heißt, und Sie können sich über sie informieren. Sie können einschätzen, welche möglichen Folgen die Erkrankung haben kann, wie sie sich möglicherweise entwickelt und wie sie mit ihr leben können. Sie können souveräner handeln und Zweifel, die andere äußern, selbstbewusster kontern.

Im folgenden Abschnitt finden Sie praktische Tipps, wie Sie selbst dazu beitragen können, eine gesicherte Diagnose zu bekommen.

Was kann ich tun, um eine zweifelsfreie Diagnose zu erhalten?

Die gute Nachricht ist: Sie können einiges dazu beitragen, dass Ihre Beschwerden richtig eingeordnet und folglich behandelt werden können.

Gut vorbereitet zum Arzttermin

Bereiten Sie sich auf das Gespräch mit Ihrer Ärztin oder Ihrem Arzt vor. Schreiben Sie sich Ihre Fragen auf, machen Sie sich zuvor Notizen, um dem der Ärztin oder dem Arzt genau schildern zu können, wie sich Ihre Schmerzen äußern, wann und wie häufig sie auftreten, wie stark sie sind und ob Sie unter weiteren Beschwerden leiden. Dabei kann Ihnen ein Schmerztagebuch helfen. Online finden Sie Exemplare verschiedener Anbieter, die Sie kostenfrei herunterladen können. Schmerztagebücher gibt es außerdem als App. Andernfalls fragen Sie in der ärztlichen/psychotherapeutischen Praxis, ob diese Vorlagen zur Verfügung stellen.

Bringen Sie außerdem Befunde mit, die Sie zuvor erhalten haben – Arztberichte, Ergebnisse von bildgebenden Untersuchungen und Laborwerte. Schildern Sie auch, wie verschiedene Behandlungen gewirkt haben. Alle Informationen, die den Ärzt:innen helfen, Ihre gesundheitliche Situation einzuschätzen und dabei vergangene Erkrankungen und Verletzungen, auch psychischer Art, einzubeziehen, können dazu beitragen, dass sie Ihre Erkrankung endlich richtig einordnen.

Aus diesem Grund ist es ratsam, dass Sie sich nach Arzt- oder Klinikbesuchen alle Berichte aushändigen lassen. Dies ist nicht Kulanz der behandelnden Stelle, sondern Ihr Recht als Patient:in. Sie haben dann Ihre Krankengeschichte zur Hand, falls Sie an eine andere Praxis oder ein Schmerzzentrum überwiesen werden, verschiedene Spezialist:innen an der Diagnose Ihrer Beschwerden beteiligt sind oder Sie um eine Zweitmeinung bei anderen Ärzt:innen bitten möchten.

Möglicherweise hilft es, eine Vertrauensperson zu den Arztgesprächen mitzunehmen. Jemanden an Ihrer Seite zu wissen, kann Ihnen Mut machen, Ihr Anliegen nachdrücklich zu schildern und alle Fragen zu stellen, die Sie haben. Zudem kann Ihre Begleitung Informationen notieren, während Sie sich ganz auf das Gespräch konzentrieren.

Tipps fürs Arztgespräch zum kostenlosen Download

Hier [LINK zu https://www.ichbeimarzt.de/pdf/Kittelkarte_Ich_beim_Arzt_2020Ansicht.pdf] finden Sie auf einen Blick hilfreiche Tipps zur Vorbereitung Ihres Arztgesprächs. Der kleine Ratgeber wurde von der Initiative „Ich beim Arzt“ [LINK zu https://www.ichbeimarzt.de] entwickelt, zu deren Initiatoren und Partnern auch die Deutsche Schmerzliga e. V. [LINK zu https://schmerzliga.de/] und die MigräneLiga e. V. [LINK zu https://www.migraeneliga.de/] gehören.

Im Schmerzzentrum gezielt Hilfe erhalten

Die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS) geht davon aus, dass Betroffene mit chronischen Schmerzen in Deutschland im Durchschnitt vier Jahre auf eine gesicherte Diagnose warten. (1) Schmerzspezialist:innen erkennen den Grund für die Beschwerden meist schneller. (2) Wer sich direkt an sie wendet, erhöht daher die Chance auf eine baldige, zweifelsfreie Beurteilung der Beschwerden.

Sollte man in Ihrer hausärztlichen Praxis keine Ursache für Ihre Schmerzen finden können, erkundigen Sie sich deshalb nach einer Überweisung zu Fachärzt:innen oder einem Schmerzzentrum. Bitten Sie außerdem um Empfehlungen bzw. Adressen von Spezialist:innen in Ihrer Nähe. Auf dieser Website des Bundesgesundheitsministeriums Sie selbst nach Fachärzt:innen vor Ort suchen. Hier hat die Deutsche Schmerzgesellschaft e. V. eine Suchfunktion für Schmerzzentren eingerichtet.

Mit der Überweisung können Sie sich an die Terminservicestellen der Kassenärztlichen Vereinigungen wenden. Dort erhalten Sie nach Möglichkeit Unterstützung, um lange Wartezeiten auf einen Facharzttermin zu vermeiden.

Der Therapie Zeit geben

Haben Sie eine Diagnose erhalten und eine Therapie begonnen, die Beschwerden dauern jedoch an? Möglicherweise braucht es etwas Zeit, bis die Behandlung Wirkung zeigt. Bleiben die Schmerzen jedoch unverändert, bitten Sie um erneute Untersuchung – gegebenenfalls, indem Sie einen eine Ärztin bzw. einen Arzt für Psychosomatik hinzuziehen.

Auch Digitale Gesundheitsanwendungen, die sofort zugänglich sind und eigenständig angewendet werden, bieten eine Behandlungsoption. Die Kosten dieser sogenannten DiGA werden nach Verordnung durch Ärzt:innen oder Psychotherapeut:innen von den Krankenkassen übernommen. Sie haben auch die Möglichkeit, direkt bei Ihrer Krankenkasse dazu nachzufragen. Der Online-Kurs von Selfapy bietet Unterstützung bei chronischen Schmerzen und Rückenschmerzen, ist flexibel durchführbar und kostenfrei auf Rezept erhältlich.

 

Quellen:
(1) Ärzteblatt. Chronischer Schmerz: Lange Wartezeiten auf die Diagnose. Online unter https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/138222/Chronischer-Schmerz-Lange-Wartezeiten-auf-die-Diagnose. Zuletzt abgerufen am 24.10.2022.

(2) Deutsche Schmerzgesellschaft e. V. Herausforderung Schmerz. Online unter https://www.schmerzgesellschaft.de/patienteninformationen/herausforderung-schmerz. Zuletzt abgerufen a 08.05.2023.
(3) Klinikum Stuttgart. Stationäre Schmerztherapie. Online unter https://www.klinikum-stuttgart.de/kliniken-institute-zentren/klinik-fuer-anaesthesiologie-operative-intensivmedizin-notfallmedizin-und-schmerztherapie/klinische-schwerpunkte/schmerztherapie/stationaere-schmerztherapie. Zuletzt abgerufen am 08.05.2023.
(4) Hilfe für mich. Sind chronische Schmerzen ein eigenes Krankheitsbild? Online unter https://www.hilfefuermich.de/schmerz/ratgeber/1x1-der-erkrankung#schmerz. Zuletzt abgerufen am 24.10.2022.
(5) S3-Leitlinie „Funktionelle Körperbeschwerden“. AWMF-Reg.-Nr. 051-001. Langfassung S. 13.
(6) Deutsche Schmerzgesellschaft e. V. Rückenschmerzen. Online unter https://www.schmerzgesellschaft.de/topnavi/patienteninformationen/schmerzerkrankungen/rueckenschmerzen. Zuletzt abgerufen am 08.05.2023.
(7) Deutsche Schmerzgesellschaft e. V. Somatoforme Schmerzstörung. Online unter https://www.schmerzgesellschaft.de/topnavi/patienteninformationen/schmerzerkrankungen/seelenschmerz-somatoforme-schmerzstoerung. Zuletzt abgerufen am 08.05.2023.
(8) Bayerischer Rundfunk/Elsbeth Bräuer. Unsichtbar krank – Worunter Betroffene leiden. Online unter https://www.br.de/nachrichten/bayern/unsichtbar-krank-worunter-betroffene-leiden,SsFU05v. Zuletzt abgerufen am 24.10.2022.
(9) Alexander Kugelstadt. Dann ist das wohl psychosomatisch. Mosaik, 2020. S. 315.